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20. Dezember 1986:  Ein selbstgebauter Fluggleiter soll den passionierten Drachenflieger von Fahrland in das sechs Kilometer entfernte West-Berlin bringen. Das Fluchtvorhaben scheitert: Der 37-Jährige wird verhaftet und zu zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnisstrafe verurteilt.
 
Heute vor 32 Jahren versuchte am Abend ein 37-Jähriger Drachenflieger von Fahrland (heute Brandenburg) mit einem selbstgebauter Fluggleiter in das nur sechs Kilometer entfernte, damalige West-Berlin über die Berliner Mauer zu gelangen. Leider kommt er in Berlin nicht an. Orientierungsschwierigkeiten und der kalte Wind  zwingen den gelernten Werkzeugmacher zurück auf den Boden. Dort ist er schließlich verhaftet worden. 
Süffisant und neugierig ließen sich später die Stasi-Mitarbeiter im Hof des Potsdamer Gefängnisses in der Lindenstraße (heute Gedenkstätte Lindenstraße 54/55, https://de.wikipedia.org/wiki/Gedenkstätte_Lindenstraße_54/55) von ihm seinen Flugapparat vorführen. Drei Jahre vor dem „Mauerfall“ saß der Mann dann hier in Untersuchungshaft. Später kam er in der Berliner Untersuchungshaftanstalt in der Kissingenstraße in Berlin-Pankow. Er ist dann zu zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden. Doch er hatte Glück. Durch den Besuch Erich Honeckers in Bonn gab es eine Amnestie in der DDR. So kam er schon nach vier Monaten wieder frei. 
Ein Drachenflug selber wäre aus der Perspektive junger Menschen heute gewiss ebenfalls gefährlich. Aber, dass man dafür eingesperrt wird, ist doch eher unvorstellbar?
Flugdrachen zu bauen, war in der DDR gar nicht so einfach. Immerhin bedarf es eines leichten, wiederum luftundurchlässigen Stoffes. So etwas gab es nicht selbstverständlich. Zunächst verwendete man Plastikfolie, die über Holzlatten gespannt wurden. Die meisten Drachenflieger stammten aus dem Bezirken Magdeburg, Halle und Erfurt. Diese grenzten alle an die ehemaligen Bundesrepublik. Trotzdem soll der Fluchtgedanke bei der Ausübung des Sportes überhaupt nicht im Vordergrund gestanden haben. 
Seit September diesen Jahres gibt es den deutschen Thriller „BALLON“ von Michael Herbig. Er basiert auf der authentischen Geschichte, in der zwei Familien aus Thüringen mit einem Heißluftballon in die Bundesrepublik über die innerdeutsche Grenze fliehen. Der Film erzählt sehr schön vom Leben in der DDR. Die Menschen leben in geordneten Verhältnissen, die, die nicht fliehen wollen, fühlen sich nicht unwohl, sondern haben sich mit den Verhältnissen gut arrangiert. Wer aber die Grenzen des Himmels auch in der DDR testen wollten, wer sich vielleicht einfach sportlich höhere Ziele setzte, als es die politischen Verhältnisse damals zu ließen, der lebte gefährlich. 
Drachenfliegen war ein Sport, der durchaus, wie Segelfliegen übrigens, im Rahmen der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) vereinzelt betrieben werden konnte. Im Ostblock, zum Beispiel in Ungarn sind sogar internationalen Drachenflugmeisterschaft ausgerichtet worden. Trotzdem beobachtete man von Seiten der DDR-Sicherheitskräften die Drachenflieger eher misstrauisch. Von dieser Seite förderte man den Sport wenig bis gar nicht. Besagte Flucht mit dem Heißluftballon 1979 war ja eine Erfolgsgeschichte und, deswegen hatte sich Michael Herbig sicherlich auch daran erinnert, wurde sie schon damals durch die Medien sehr bekannt gemacht. In den Vereinigten Staaten entstand zu der Geschichte sofort ein Film (https://de.wikipedia.org/wiki/Mit_dem_Wind_nach_Westen). 
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Die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) organisierte den vormilitärischen Unterricht in der DDR, nicht umsonst! Zum Unterricht in der 9. Klasse an der Polytechnischen Oberschule (POS) gehörte der 14-tägige Aufenthalt, meistens im Sommer, in einem sogenannten Wehrlager. Das selbe galt für die wenigen Jugendlichen, die an den sogenannten Erweiterten Oberschulen (EOS) ein Abitur ablegten. In der 11. Klasse war für die jungen Männer das Wehrlager obligatorisch. Wer sich beim Abitur verpflichtete, Offizier der NVA zu werden, war ein Offiziersbewerber und konnte parallel zur Schulunterricht seinen LKW-Führerschein ablegen. Das war ein ganz besonderes Privileg, weil man sich durch die Fahrschule sparte, die in der DDR wie heute sehr teuer war. All dies geschah unter der Schirmherrschaft der GST. 
Besondere Sportarten wie Segel- oder Drachenfliegen  waren hier ebenfalls angesiedelt. Das hatte besonders bei den Möglichkeiten, nahe der innerdeutschen Grenzen mit den Flugapparaten zu fliehen, den Vorteil, die Sportler genauestens unter die Lupe zu nehmen.
Wiederum weckten diese besonderen Sportarten bei den Jugendlichen das Elitebewusstsein. Innerhalb der egalisiert ausgerichteten DDR-Gesellschaft gab es wenig Möglichkeiten aus der Masse hervorzustechen. Zu den bewunderten Helden gehörte u.a. sicherlich Sigmund Jähn. 1978 war er der erste Deutsche, der ins All geflogen war. Er hat damit auf ganz besondere Art die Grenzen des Himmels getestet. Zum Drachenfliegen gibt es kaum Vergleich, aber das Gefühl der Freiheit und des Heldentums war dadurch natürlich geweckt worden. In diesen Tagen macht sich der deutsche Astronaut Alexander Gerst von der Raumstation ISS nach mehreren Monaten Aufenthalt wieder auf den Rückflug zur Erde. Er ist gewiss kein Drachenflieger und kam auch nie auf die Idee in Richtung DDR über die innerdeutsche Grenze zu fliehen. Aber, ähnlich den vielen Mauerflüchtlinge sprengt er Grenzen und ist dadurch ein Vorbild für alle.