Die Anfänge der Berliner Mauer. Oktober 1962
Der Verlauf der Berliner Mauer führte dazu, dass in West-Berlin viele Menschen unmittelbar an der Mauer lebten. Während in Ost-Berlin Häuser in unmittelbarer Grenznähe geräumt und abgerissen wurden, blieben die West-Berliner dort wohnen.
Der Schock wich schnell Gewohnheit. Da die Grenze nach den Kehrgrenzen der Müllabfuhr festgelegt worden war, gab es vor manchen Häusern nur einen schmalen Fußweg, der eigentlich schon zu Ost-Berlin gehörte. Denn die Mauer war fast nirgendwo die eigentliche Grenze, sie lag in der Regel 3 – 5 m weiter in Richtung West-Berlin.
Aber in der Regel wurde die Benutzung toleriert. Dafür war alles auf der DDR Seite entfernt worden, was den Flüchtlingen Sichtdeckung hätte geben können.
Da der Todesstreifen ständig mit Mikrofonen kontrolliert wurde, sind in den ersten Jahren viele Tunnel von Fluchthelfern nach Ost-Berlin gegraben worden. Als Ausgangspunkt waren die Häuser direkt an der Grenze besonders geeignet gewesen.
Viele Tunnel wurden von Spitzeln verraten. Es gab in West-Berlin eine ganze Reihe SED Sympathisanten, andere taten es für Geld. Wer allerdings von den Hausbewohnern erwischt wurde, kassierte eine kräftige Tracht Prügel, bevor er den Behörden übergeben wurde.
Gelegentlich wurde die Ruhe durch Fluchtversuche unterbrochen. Immer wieder schlugen Kugeln in die Fassaden der West-Berliner Häuser ein. Manchmal landeten die Geschosse in Wohn- oder Schlafzimmern, wenn sie durch die Fenster schossen. Das konnte auch bei Unfällen geschehen, ich selbst habe als Passant erlebt, wie eine Kugel, nicht weit von mir, in eine Hauswand einschlug. Der Grenzer hatte die Waffe durchgeladen, fallen gelassen und der Schuss löste sich.
Das war allerdings an einem Stück der Mauer, wo die Straße beidseitig zu West-Berlin gehörte. Auch dort lebte man in ihrem Schatten. Die DDR-Grenzer beobachteten alle Vorgänge auf der Westseite und machten Fotos. Dabei wurde auch genau in die Wohnungen geguckt. Man fürchtete, dass westliche Geheimdienste sie als Stützpunkte verwenden könnten.
Ein Teleskop auf einem Balkon löste hektische Betriebsamkeit aus. Das MfS schickte sogar Agenten aus, um zu prüfen, wer dort wohnte und was die Person damit im Schilde führte. Ein Hobbyastronom oder ein potentieller Grenzverletzer? Ein großer Teil der Hausbewohner in Mauernähe hatte Stasi-Akten. Besonders solche, die Verwandte in der DDR hatten.
Nicht wenige Menschen wohnten gerne in der Nähe der Mauer. Da die Grenze oft Straßen unterbrach, war das Gebiet dann wie eine verkehrsberuhigte Zone. Dazu waren diese Wohnlagen oft besonders preisgünstig. Die Beleuchtung und Bewachung der Grenzanlagen vermittelte manchem West-Berliner sogar ein Gefühl der Sicherheit. So war z.B. die Kleingartenkolonie “Freiheit an der Mauer” damals frei von Einbrüchen.
Mit dem Fall der Mauer 1989 änderte sich all das schnell.
Trotzdem sind die Menschen, die in ihrem Schatten lebten, selbstverständlich froh über den Mauerfall.