In blog

Für die Mitglieder des diplomatischen Corps in der DDR war das Leben völlig anders als für die Bürger Ost- oder Westberlins. Botschafter, Botschaftsräte, Botschaftssekretäre und Attachés lebten in einer Art Parallelwelt.

Die besondere rechtliche Situation der Diplomaten schützte sie vor Verfolgung. Und die Diplomatenpapiere erlaubten es ihnen jederzeit die Grenze nach Westberlin (über den Checkpoint Charlie) zu überqueren. Für sie gab es keinen Mangel denn sie hatten damit Zugang zu den Märkten der Welt. Obst aus aller Welt, ein Auto ohne jahrelange Wartezeit, alles war möglich.
Ralph Morton war seit 1987 Dritter Sekretär für internal affairs an der britischen Botschaft. Seine Hauptaufgaben waren die Gebiete Presse und Kirche in der DDR. Da es keinen zweiten Sekretär gab waren seine Tätigkeitsfelder umfangreicher als normal.
Die Botschaft befand sich in Ostberlin an der Adresse Unter den Linden 32-34. Sie war aber offiziell nur für die DDR ohne Ost-Berlin zuständig. Der Vier-Mächte-Status machte das nötig. Deshalb “British Embassy to the GDR”, also Botschaft “bei” der DDR, nicht “in” der DDR. In der Praxis aber wurde auch Ostberlin mit „bearbeitet“. Auch die Konsularbefugnisse waren so geordnet, dass keine Anerkennung der Zugehörigkeit Ost-Berlins zur DDR herausgelesen werden konnte. Ein französischer Diplomat antwortet sehr vorsichtig auf eine entsprechende Frage: “Was Berlin betrifft, so wissen Sie wohl, wer zuständig ist.”
Man trat vorsichtig auf. Es war eine Regel, dass DDR Bürger in den westlichen Botschaften kein Asyl gewährt wurde
Mortons Vater war 1944 mit der 79th armoured Division in der Normandie gelandet und kämpfte sich mit seinem AVRE Pionierpanzer bis nach Deutschland hinein. Er hatte 45 für Deutsche wenig übrig und so war seine Heirat mit einer Deutschen wohl auch für ihn selbst überraschend. Das Paar lebte bis zu seinem Tod in Oxford wo er als Architekt arbeitete. Ralph sprach zu Hause wenig Deutsch, doch machte die Familie oft Urlaub in Deutschland.

Er studierte Geisteswissenschaften und ging in den diplomatischen Dienst. Es folgte Dienst in diversen Ländern, darunter auch Westdeutschland. Da er eine Reihe Freunde in Westberlin hatte war für ihn die Versetzung nach Ostberlin fast ein Heimspiel.
Er kam kurz vor der 750 Jahre Berlin Feier an. Während der Bürger meist lange auf Wohnraum warten musste stellte die Ostberliner Verwaltung (Dienstleistungsamt) Wohnungen für Diplomaten, nach Wunsch in Alt- oder Neubauten. Mr. Morton zog in einen Plattenbau, nahe der Friedrichstraße, ein. Doch anders als in Häusern für DDR Bürger waren die Etagen anders aufgeteilt. Statt vier bis sechs Wohnungen gab es nur zwei. Er hatte ein riesiges Esszimmer, Wohnzimmer, mehrere Schlafzimmer, Küche und Bad. Eine kleine Besonderheit im Diplomatenhaus war eine Nische neben der Haustür, dort stand immer ein DDR Wachposten der Besucher kontrollierte.

Die Putzfrau war Ostberlinerin und berichtete an die Staatssicherheit. Und machte nicht nur sauber. Deshalb erschien häufig ein britischer Kammerjäger in der Wohnung. Auf der Jagd nach „Wanzen“. Die Überwachung war permanent, Diplomaten wurden von ihren Botschaften immer wieder darauf hingewiesen. Auf der Westberliner Seite der Friedrichstraße stand eine Telefonzelle die immer wieder verwanzt wurde. Mobiltelefone waren damals noch selten und manche Diplomaten waren naiv und dachten dort vertrauliche Gespräche sicher führen zu können.

Ralph Morton machte sich keine falschen Vorstellungen von der DDR. Auf die Frage was er von ihr hielt nannte er sie unter vier Augen „cute“, niedlich. Natürlich erzeugte das erstaunte Reaktionen. Ein Unrechtsstaat sei Niedlich? Die DDR der späten 80er Jahre erinnerte ihn an Monty Python oder Chaplins Der große Diktator. Eine Persiflage auf die Bundesrepublik oder einen demokratischen Staat. Aber eben ein Unrechtsstaat. Voller Absurditäten.
Sein Aufgabenbereich brachte es mit sich das er nah an den Ereignissen war die zum Ende der DDR führten. Die kirchliche Opposition in der DDR wurde von den Diplomaten aus NATO Staaten meist kritisch betrachtet da sie eine extreme Ausprägung der Friedensbewegung vertrat. Mr. Morton besuchte ihre Veranstaltungen dienstlich und langweilte sich meist heftig. „Jeder wollte unbedingt reden und wenige hatten etwas zu sagen“. Wie sich nach der Wende zeigte waren die Kontakte der Kirche zur Staatsführung oft enger als zugegeben.

Morton hatte viele Kontakte zu Pastoren und Oppositionellen und eben deshalb macht er sich heute keine Illusionen über ihre Rolle am Zusammenbruch der DDR. Viele wollten einen anderen Sozialismus, nicht einen Anschluss an die Bundesrepublik.
Eine Diplomatenrundfahrt durch die DDR 1988 wurde von viel Propaganda begleitet. Die DDR sei ein Friedensstaat. Die Jugend würde zum Frieden erzogen und es gäbe kein Kriegsspielzeug. Natürlich wusste er über die vormilitärische Ausbildung in DDR Schulen Bescheid. Er nutzte den nächsten Halt zu einem Besuch in einem Spielwarenladen wo er ein FROG Raketenwerfer Modell kaufte. „This is a Friedensspielzeug“ war sein Kommentar als er es durch den Bus gehen ließ. Die Geschäfte waren voll mit Kriegsspielzeug und er häufte über die Jahre in Ostberlin eine hübsche Sammlung an.
Die Botschaft hatte Unter den Linden Schaufenster in denen britische Produkte und Zeitungen gezeigt wurden. Dort standen stets Volkspolizisten die aufpassten wer zu viel Interesse zeigte. Zeitweise hatte man sogar Absperrungen errichtet. Da aber praktisch jeder in Ostberlin Westberliner Medien nutzte war das einfach nur sinnloser Aktionismus. Nahezu jeder kannte das westliche Werbefernsehen.

Die britische Presse war in Ostberlin nur schwach vertreten. Reuters hatte einen dort wohnenden Korrespondenten, aber der BBC Vertreter wohnte in Westberlin. Ende der 80er Jahre trat die Stasi behutsam auf. Journalisten wurden weit weniger gegängelt als früher. Man legte großen Wert darauf eine schlechte Presse zu vermeiden. So waren die Aufgaben Ralph Mortons in diesem Bereich leicht zu erledigen.

Die lange vorbereiteten Feiern zum Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 verfehlten die von der Regierung erhoffte Wirkung. Sie geriet in Verwirrung. Die großen Demonstrationen im Oktober 89 blieben friedlich, die von der DDR Führung geplanten Maßnahmen unterblieben da die Hardliner keine Mehrheit fanden. Der 4. November 1989 brachte bis zu 500.000 Menschen auf den Ostberliner Alexanderplatz. Volkspolizei und NVA unternahmen nichts dagegen.
Doch machte sich kein Diplomat falsche Vorstellungen. Es war Michail Gorbatschow der dafür verantwortlich war. Indem er der SED die Unterstützung entzogen hatte entschied er den Verlauf. Hätten die Russen eingegriffen wäre aus der friedlichen Revolution ein Blutbad geworden. Und die Westalliierten hätten zugesehen. Niemand war bereit für die DDR Bürger einen Weltkrieg zu riskieren.

Als Diplomat hatte Morton mit den Grenzern lange keine Probleme. Das änderte sich erst nach der Wende. Offensichtlich litten einige der Grenzsoldaten unter der neuen Situation. Nach dem 9. November wurden an vielen Stellen Durchbrüche geschaffen, so auch einer nicht weit vom Checkpoint Charlie. Der Checkpoint selbst blieb weiter nur für dieselben Gruppen offen die ihn auch schon vor der Wende benutzen durften.
Als er mit einem Westberliner Freund gemeinsam zu seiner Ostberliner Wohnung wollte gingen sie also zum neuen Durchbruch. Massen von Menschen die friedlich in beide Richtungen gingen. Deutsche aus Ost und West, Türken, Vietnamesen und Menschen aus vielen anderen Ländern. Auf der Westseite stand ein einzelner Polizist der alle anlächelte und keinen Blick auf die Papiere verschwendete.

Auf der Ostseite hatte man ein Schilderhäuschen aufgestellt und Grenzer guckten die Leute streng an. Die Menschen hielten einfach ihre Ausweise hoch und wurden durchgewinkt. Der deutsche Freund ging vor, dann Morton. „HALT“ Der wohl leicht verwirrte Grenzer winkte den Diplomaten heraus. Er erklärte ihm, dass er als Diplomat privilegiert sei und deshalb nur den Checkpoint Charlie benutzen dürfe. Plötzlich verstand der Diplomat kein Deutsch. Der Westberliner Polizist hatte einen Lachanfall und es dauerte einige Minuten bis der Grenzer begriff, dass er dabei war einen internationalen Zwischenfall zu produzieren. Er fragte nach, über Funk erhielt er einen Befehl. Knurrend ließ er den Diplomaten passieren.
An Wohnhaus angekommen gab es eine Überraschung. Die Nische war leer, die Wächter waren für immer verschwunden.

berliner_mauer