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The Wall Museum Berlin

Der Staat Preußen hörte 1945 auf zu bestehen. Formal bestand er aber noch bis zu seiner förmlichen Auflösung durch das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947.  In ihm steht:  „Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erlässt der Kontrollrat das folgende Gesetz: 

Artikel 1 

“Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst.“ 

Damit war das Thema Preußen eigentlich erledigt. Doch Preußen war weit mehr als ein Staatsgebilde, es wurde auch mit Ideen assoziiert. So wie die im o.g. Gesetz erwähnten Stereotypen Militarismus und Reaktion waren auch die positiven “Preußischen Tugenden“ oft nur Phrasen. Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Fleiß und Toleranz gab es in Preußen. Doch eigentlich waren sie calvinistische Tugenden. 

Der real existierende Sozialismus hatte ein ganz praktisches Problem, sein Territorium war mit der Keimzelle des Brandenburg-Preußischen Staates identisch. Potsdam und Berlin waren da und man musste mit dem historischen Erbe irgendwie umgehen. 

Für die junge DDR war Preußen ein Feindbild. Preußisch klingende Begriffe wurden vermieden, es ging so weit, dass aus dem Bismarckhering in den HO Verkaufsstellen der Delihering wurde. Nur waren, aufgrund der Lebensmittelknappheit, meist weder Bismarck- noch Delihering in den Geschäften, das gab den Kunden genug Stoff für Flüsterwitze . 

Auch der Westen hatte seine Probleme mit der Geschichte. In manchen Fällen arbeiteten Ost und West zusammen. Das Brandenburger Tor wurde 1956 als das einzig erhaltene Berliner Stadttor restauriert, auch wenn es für die DDR ein preußisches Symbol war. Die Quadriga konnte nur aufgrund eines Gipsabgusses von 1942 vollständig neugeschaffen werden. Die Herstellung erfolgte im Westberliner Friedenau bei der Gießerei Hermann Noack. Am 14. Dezember 1958 war die Quadriga fertig, die oft erzählte Geschichte, dass die DDR sie zunächst absichtlich in falscher Fahrtrichtung aufstellte ist eine Legende. Wahr ist, die Quadriga wurde in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1958 heimlich in den Neuen Marstall gebracht. Dort wurden  der Preußenadler und  das Eiserne Kreuz entfernt. Die Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung erklärte dazu: „ Die „Embleme des preußisch-deutschen Militarismus“ dürften nicht mehr zur Aufstellung gelangen. Nach  dem Mauerbau 1961 wurde  nichts für den Erhalt der Quadriga getan und etliche Teile aus Stahl waren 1990 durchgerostet, andere von Souvenirjägern gestohlen. Die Restaurierung nach dem Mauerfall war vollständig, Adler und Eisernes Kreuz wurden wieder angebracht, so sehen Berlinbesucher heute die alte Fassung.

Aber das Tor war nur der westliche Endpunkt der Linden. Eine Straße voll mit preußischen Symbolbauten. Das Stadtschloss sprengte man um einen Aufmarschplatz zu schaffen. Doch andere Bauten adoptierte man, sie wurden Teil der DDR Identität. 

Die Neue Wache ist ein typisches  Bespiel für das seltsame DDR Geschichtsbild. Das altpreußische Militärzeremoniell der Wachablösung fand dort seit 1818 statt. Bis 1955 wurde das Gebäude wiederhergestellt. 1960 und 1969 erfolgten Umbauten im Inneren, die es zu einem Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus umwidmeten. Von 1962 an standen dort als Ehrenwache zwei bewaffnete Soldaten des Wachregiments Friedrich Engels  die stündlich im Kleinen Wachaufzug abgelöst wurden. Und um 14.30 gab es Mittwochs und Samstags den Großen Wachaufzug.  Militärmusik und Soldaten im Stechschritt. Diese sehr preußisch wirkende Veranstaltung  war bis zum Ende der DDR ein Touristenmagnet. 

Doch allgemein war in  der Ulbricht-Ära  Preußen ganz offiziell an allen Fehlentwicklungen in Deutschland schuld. Preußen und NS-Staat wurden fast synonym verwendet. Dieser simplen Schlussfolgerung folgend wurden Schlösser vernichtet, Herrenhäuser gesprengt, Denkmäler abgerissen, Straßen und Städte umbenannt, Bücher auf den Index gesetzt.

Doch es gab Ausnahmen, so wurde 1966 der höchste Militärorden der Nationalen Volksarmee  nach dem General Gerhard von Scharnhorst benannt. Man sah ihn als Reformer der für die Tradition des “Volksheeres“ stand. 

Die DDR entwickelte militärische Traditionen die, bewusst oder unbewusst, preußische Traditionen imitierten. Die großen Militärparaden in Ost-Berlin erinnerten sehr an die der Kaiserzeit, aber auch an die des NS-Staates. So mancher war irritiert, da halfen auch  Verweise auf Clausewitz-Zitate in den Werken Lenins nicht. Die Ähnlichkeit der NVA Uniformen zu denen der Vorgänger war ein weiterer Punkt. Schnitt und Trageweise war durchaus “militaristisch“. Weniger Preußisch als Nationalsozialistisch. In der DDR Armee überlebte sogar der Stechschritt, den die Bundeswehr ihren “Bürgern in Uniform” nicht mehr zumuten konnte oder wollte. Allerdings war es die leicht abweichend russisch-sowjetische Form. 

Im The Wall Museum wird der aufmerksame Betrachter der Filmdokumente und der Realstücke diese Verbindung sofort bemerken. Aber auch die Sprache der Propagandafilme ist entlarvend, Formulierungen wie: „kriegt die Kugel…“ könnten aus dem NS Staat stammen. Aber nicht aus dem Preußen vor 1918. 

Wenig bekannt ist, dass der im Museum in den Filmen und als Original zu sehende “typische“ NVA Stahlhelm als Reichspatent Nr. 706647  1943 für die Wehrmacht entwickelt worden war. 1945 war nur eine geringe Zahl an die Truppe ausgegeben. Der DDR M/56 Helm  hatte nur eine leicht andere Unterkante. Hin und wieder haben “Revanchisten“ aus dem kapitalistischen Westen boshaft auf die NS Herkunft hingewiesen. In der Bundeswehr sollte der Gefechtshelm keinesfalls auf NS Konstruktionen beruhen. Und auch die Uniform war vom Schnitt her  betont “unmilitärisch“ entworfen. 

Besonders die Befreiungskriege hatten es der SED Führung angetan. Es gab eine Jagdfliegerstaffel “Adolf von Lützow” und ein Hubschraubergeschwader “Ferdinand von Schill”. Man erklärte Schill und Lützow als Träger des Volkskriegs, als Vorläufer der NVA. Das sie auch im NS Staat heroisiert wurden blendete man einfach aus.

1972 erschien Friedrich II. erstmals in einer Defa  Filmproduktion. Der Film “Die gestohlene Schlacht“ zeigt ihn als feudalen Herrscher der auf das Leben der kleinen Leute keine Rücksicht nimmt. Die DDR Filmkritik beschrieb ihn als satirische Überzeichnung. Manfred Krug erhielt für seine Darstellung des Gegenspielers Käsebier den Nationalpreis II. Klasse.

 

Mit Erich Honecker begann ein bedeutsamer  Wandel. Seine Propagandamaschine verbreitete die Theorie von einer “eigenständigen sozialistischen Nation DDR“  die sich im Gegensatz zur“ imperialistischen Nation“ Bundesrepublik entwickele. Um dies halbwegs plausibel zu machen suchte man eine historische Legitimierung. Und zur Überraschung der Öffentlichkeit in West und Ost setzte man bei Preußen an. Die Geschichtswissenschaft der DDR war immer von der Staatsdoktrin geleitet, so war klar, eine Veröffentlichung spiegelte stets die Meinung der SED Leitung wieder.  Schon 1976 gab es eine 5 Mark Gedenkmünze für den Freikorpsführer von Schill. Ein weiterer Schritt auf  eine sozialistische Legende um Preußen zu.

1979 gab es einen Paukenschlag. Die Biographie Friedrichs des Großen der Ostberliner Historikerin Ingrid Mitten setzte neue Maßstäbe. Man dürfe die  positiv-progressiven Momente der Preußischen Geschichte nicht missachten oder negieren. Nur neun Jahre vorher war in der Preußischen Geschichte der zwei DDR-Historiker Günter Vogler und Klaus Vetter immer wieder vom Militärdespotismus die Rede. Preußen sei der Vorläufer des Nationalsozialismus. 

Die Führungsetage des DDR-Fernsehens hatte beschlossen, anlässlich des 200. Geburtstags von Clausewitz einen Fernsehfilm zu drehen, der sich mit fortschrittlichen Tendenzen in der Geschichte Preußens und damit auch mit dem Wirken des Militärreformers Clausewitz befasste. Patriotismus und Vaterland waren Themen die die SED schätzte. “Clausewitz  – Lebensbild eines preußischen Generals“  lief zur besten Sendezeit. Von einer Schuld Preußens an den Verbrechen des NS Staates war keine Rede mehr.

Und der Wandel ging weiter, 1980 wurde das Reiterdenkmal Friedrichs des Großen wieder am traditionellen Ort Unter den Linden aufgestellt. Dort können Touristen es seitdem besichtigen. Seit 1947 war Friedrich II.  das Symbol des kriegslüsternen Preußen, nun war er plötzlich eine historische Bezugsgröße für den Arbeiter- und Bauernstaat. 

Offiziell hieß der König in der DDR zunächst weiterhin nur Friedrich II., der Zusatz “ der Große“ wurde nicht verwendet. Doch nachdem Erich Honecker ihn 1986 im Interview mit einer schwedischen Tageszeitung, wohl eher versehentlich, so titulierte war er auch in der DDR wieder Friedrich der Große. .

Und weitere Preußen wurden sozialistisch,  Blücher und Gneisenau kehrten zurück, ihre Denkmale wurden wieder aufgestellt. 

1985 erschien  die zweibändige Bismarckbiographie des renommierten Historikers Ernst Engelberg. Das Werk   ging manchem altgedientem SED-Funktionär zu weit. Bismarck, bisher stets als Todfeind der Arbeiterklasse, Kriegshetzer und reaktionärer Junker apostrophiert, war nun ein Mann der “ einfallsreichen und klug abwägenden, ebenso phantasievollen wie raffinierten Politik“. Ein Bismarck als Teil der DDR Traditionspflege?

Doch die oberste SED Führung meinte es ernst, 1986 tauchte beim Prinzen von Preußen der ehemalige Kulturminister der DDR, Hans Bentzien, auf. Bei seinem Besuch auf der Burg Hohenzollern sprach der Vertreter der SED ihn mit „Kaiserliche Hoheit“ an. Ein Titel der eindeutig nicht mehr galt und für einen Sozialisten eigentlich ein Unding war. Geschickt wurde er von Honecker. Die Idee der SED war seltsam, die Särge Friedrichs des Großen und seines Vaters, Friedrichs Wilhelms I., die sich nach der Auslagerung im Krieg seit 1952 auf der Burg Hohenzollern befanden, könne man doch nach Sanssouci bei Potsdam, also in die DDR, überführen. Das entspräche dem letzten Willen Friedrichs des Großen.

Der Prinz stand der Idee durchaus positiv gegenüber, er hatte aber eine kleine Vorbedingung: Zunächst müsse die Mauer fallen. Wohl keiner der beiden Gesprächspartner erwartete den Mauerfall nur drei Jahre später. Heute sind die Särge wieder in Sanssouci. 

1985/87 wurde die sechsteilige  DDR Fernsehserie “Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ ein Straßenfeger. Die Ausstattungsqualität und die Zahl der Darsteller übertrafen alle bisherigen DEFA-Filme. 21 Millionen DDR Mark ergaben ein großartiges Bild des 18. Jahrhunderts. Diverse kleine historische Ungenauigkeiten verschwinden vor den bunten Bildern. Auch im Westen war die Serie sehr beliebt.

Bei den Feierorgien zum 750-Jahr-Jubiläum der Stadt Berlin wurde das neue Preußenbild der DDR schon absurd. Nun musste alles, was Berlin, und damit untrennbar verbunden auch Preußen, einst repräsentierte, in rosigem Lichte betrachtet werden. Die letzte deutsche Kaiserin Auguste Viktoria  z.B. wurde dabei von einer Vertreterin der Reaktion zu einer “sehr gütigen und frommen Dame“. Eine Aussage die, bei der erklärt atheistischen SED, schon seltsam klingt.

Auf dem Gendarmenmarkt, damals noch Platz der Akademie, führten Musiker der NVA und der Grenztruppen am 22. August 1987 ein historisches Militärkonzert auf. Musiker in Uniformen der Zeit Friedrich des II. und der Befreiungskriege spielten altpreußische Märsche, sie zogen dabei einen Bogen zu den NVA und sowjetischen Märschen. Die DVD des Konzerts ist bis heute ein Verkaufsschlager bei Touristen. 

 

Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall und über 70 Jahre nach dem juristischen  Ende Preußens ist das Thema aktuell. In Potsdam wird  das Thema Wiederaufbau  der von der DDR gesprengten der Garnisonkirche heiß diskutiert. Das Tourismuskonzept der Landesregierung betont das Potenzial Preußens als Touristenmagnet. Die Gegner bringen das alte Klischee der Linie Preußen – Militarismus – Hitler in immer neuen Variationen vor. 

Die Befürworter haben ein unbestreitbares Argument, ohne das preußische Erbe würde kaum ein Tourist Potsdam besuchen. Und in der alten Mitte Berlins ist es ähnlich. Das Zeughaus / Deutsches Historisches Museum, die Museumsinsel, die Oper und das Brandenburger Tor ziehen die Touristen an. Mit dem Aufbau der Fassaden des Stadtschlosses wird eine der Fehlleistungen der SED korrigiert. Ein Weg den schon die Partei selbst mit der Übernahme der preußischen Geschichte  eingeleitet hatte.