Ab Januar 1983 beginnen die DDR-Grenztruppen mit dem Aufbau neuer Beobachtungstürme an der Berliner Mauer. Der neue Typus ist quadratisch (4,2 × 4,2 m). Er ist jeweils aus vorgefertigten Betonelementen montiert worden. Im Inneren gibt es vier Geschosse. Trotzdem misst der Turm nur etwa zehn Meter in der Höhe. Im oberen Geschoss befinden sich von außen gut sichtbar Schießluken. Das Dach war begehbar und diente zur Aufstellung der allseits bekannten Suchscheinwerfer.
Das Sockelgeschoss ist im Boden versenkt. Hier sind technische Anlagen und Leitungen sowie Telefonverbindungen zu den anderen umliegenden Beobachtungstürmen unterbracht gewesen. Durch die Eingangstür gelangt man ins Erdgeschoss, mit einer (Herren)Toilette und einer vorsorglich eingerichteten Arrestzelle. Das erste Obergeschoss war dem Kommandanten vorbehalten, meist ein Unteroffizier für drei Wachsoldaten. Bereits im zweiten Obergeschoss waren allen vier Seiten mit großen Panoramafenstern ausgestattet: dem eigentlichen Beobachtungsstand mit voller Rundumsicht.
Beeindruckend war 1983 die elektrische Schalttafel zur Überwachung der Grenzanlage. Hier befanden sich zudem der Schalthebel zur Betätigung des Suchscheinwerfers auf dem Dach. Die einzelnen Geschosse waren über Falltüren und steile Eisentreppen verbunden. Eigentlich war dieser Wachturmtypus nicht speziell für die Berliner Mauer entwickelt worden. Das dritte Geschoss hatte die schon erwähnten Schießluken, die in Berlin allerdings mit Eisenklappen verschlossen waren. Genutzt wurde dieser kleine Raum als Aufenthaltsraum für die Grenzsoldaten, daher blieben die Schießluken funktionslos. Im Fall der Fälle hätte man vom Dach aus schießen müssen. Angeblich war der Wachturm wohl zur Sicherung der sowjetisch-chinesischen Grenze entwickelt worden.
Da so etwas aber die interessierten Betrachter der Berliner Mauer noch nicht wissen konnten, beeindruckten die Schießluken um so mehr! Sowie heute bei Berlintouristen ein Besuch der East-Side-Gallery (und hoffentlich des Wall-Museums!!) zum Programm gehört, waren es vor dem „Mauerfall“ Aussichtsplattformen, von denen man an der Berliner Mauer in regelmäßigen Abständen in den Grenzbereich hinein sehen konnte.
Erhalten hat sich der beschrieben Wachturm zum Beispiel im Stadtbezirk Treptow, fußläufig vom The Wall-Museum etwa 15 Minuten in Richtung Südwesten. Man läuft über die Oberbaumbrücke nach Kreuzberg rein und hält sich auf der Schlesische Straße etwa tausend Meter links. Nachdem man den Landwehrkanal an der Brücke überquert hat, steht der martialische Turm einsam im Schlesischen Busch rechts. Ein Besuch lohnt sich schon deswegen, weil der Verein Flutgraben vor Ort eine Ausstellung zur Geschichte der Berliner Mauer in diesem Bereich zeigt. Außerdem werden besonders im Sommer wechselnde Kunstausstellungen gezeigt.
Dieser Turm steht bereits seit 1992 unter Denkmalschutz. Der Erhaltungszustand ist sehr gut. Bereits vor der endgültigen und offizielle Aufgabe der Grenzsicherung zwischen Ost- und Westberlin zum 1. Juli 1990 hat sich das ehemalige Museum der Verbotenen Kunst dafür engagiert. 2004 ist das Bauwerk sorgfältig und denkmalgerecht saniert worden. Dazu vermerkt das Berliner Landesdenkmalsamt: “Die von der Bundesagentur für Arbeit, dem Land Berlin und dem Bezirksamt Treptow-Köpenick finanzierten Konservierungsmaßnahmen sollten nicht einen Neubau-Zustand wieder herstellen, sondern den über die Jahrzehnte gewachsenen Zustand konservieren und weiteren Verfall aufhalten.“ Deshalb sind auch nicht alle bestehenden Schäden oder Graffiti entfernt worden. Im Innern ist der letzte nachgewiesene Anstrich erneuert worden.
Ein weiteres Exemplar dieser Wachtürme hat sich im sogenannten Kieler Eck, im Stadtbezirk Mitte nahe dem Invalidenfriedhof und direkt am Spandauer Schifffahrtskanal erhalten. Er steht nun gar nicht einsam in der Landschaft, sondern ist umringt von vielen Neubauten, die inzwischen auf den ehemaligen Mauergrundstücken errichtet worden sind. So ist es heute gar nicht so einfach, den Turm zu finden.
Seit August 2003 betreibt in dem Wachturm der Bruder von einem der ersten Mauertoten eine Gedenkstätte. Der 24-jährige Günter Litfin (https://de.wikipedia.org/wiki/Günter_Litfin)
wurde bereits am 24. August 1961, also elf Tage nach der Errichtung der Absperrmaßnahmen, ganz in der Nähe des Wachsturms schwimmend im Humboldt-Hafen erschossen. Ihm sollten weitere Opfer folgen vor allem im Bereich der Spree, woran das Wall-Museum auf seinem einzigartigen Balkon erinnert. Übrigens stammte Günther Litfin aus dem Ortsteil Hohenschönhausen des damaligen Berliner Stadtbezirks Weißensee. Das soziale Umfeld war, als er dort groß wurde, wesentlich durch den Staatssicherheitsdienst der DDR geprägt, der in besonderer Weise hier ansässig war (https://www.pw-portal.de/rezension/19720-in-den-villen-der-agenten_22953). Sein Bruder Jürgen Litfin, der nach dem Tod seines Bruders in Weißensee blieb, weiß Geschichten ganz besonderer Art aus dem DDR-Alltag zu erzählen…
Ein baugleicher Wachturm befand sich übrigens nach 1983 im Grenzbereich Glienicke/Nordbahn nach Berlin-Hermsdorf. Gleich gegenüber hatte die Familie Aagaard ein Grundstück in der Ottostraße. Aus ihrem Haus grub diese Familie einen Tunnel unter der Berliner Mauer und floh im März 1963 in den Westteil Berlins (http://fluchttunnel-glienicke.de/page9/page5/). Der Archäologe Torsten Dressler stieß bei Ausgrabungen zu dem Fluchttunnel auch auf den Sockelbereich des ehemaligen Wachturms und hielt die Spuren der ekeligen Infrastruktur professionell fest.